Welche Voraussetzungen sind notwendig, um die Transformation als Chance zu begreifen?

In einer Welt, die von tief greifenden Veränderungen geprägt ist, steht die Gesundheits- und Sozialwirtschaft vor einer enormen Transformationsaufgabe. Zu bewältigen sind neben den Auswirkungen des Klimawandels auch die Folgen der demografischen Entwicklung. Hinzu kommt die Digitalisierung, die neue Möglichkeiten eröffnet, dabei aber zugleich auch neue Fragen aufwirft. Diese zu beantworten, ist unerlässlich für eine nachhaltig lebenswerte Gesellschaft.

Die Digitalisierung ist ein wichtiger Baustein der Transformation. Doch das als alleinige Lösung zu begreifen, ist zu wenig. Der Blick aus diversen Perspektiven lohnt sich.

Qualifizierung in der Pflege

Wie kann die Transformation gelingen? Es braucht langfristige Lösungen und Strategien, wie den Ausbau von Primärversorgungszentren, insbesondere auch im ländlichen Raum. 
Die Digitalisierung kann Antworten liefern, indem sie Synergien 
hebt, die Effizienz steigert und den Pflegenden wieder mehr 
Raum gibt für ihre so wichtige Arbeit am Menschen.

Prof. Dr. Christel Bienstein, Präsidentin Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe e. V., sieht die Anforderungen an das Personal in Pflegeeinrichtungen angesichts der demografischen Entwicklung zukünftig noch weiter wachsen. Im notwendigen Wandel zur Primärversorgung hält sie es für wichtig, dass sich die Pflegenden auf einzelne Gruppen von Patient:innen spezialisieren und entsprechend qualifiziert werden.

„Wir haben wesentlich komplexere Pflegesituationen. Weil Patient:innen mit mehreren Krankheiten ins Krankenhaus kommen, müssen wir ganz spezifisch reagieren können. Aus diesem Grund ist es notwendig, dass wir neue Rollenmodelle erarbeiten.“

Prof. Dr. Christel Bienstein –

Präsidentin Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe e. V.

6,4 Mio.

Pflegebedürftige etwa wird es bis 2040 in Deutschland geben.

322.000

stationäre Pflegeplätze zusätzlich wären bis zum Jahr 2040 erforderlich.

125 Mrd. €

Neu- und Reinvestitionen würden dafür anfallen.

Mensch und Technik

Dass der Pflegeberuf immer anspruchsvoller wird, bestätigt auch Pia kleine Stüve. Für die Referatsleiterin Assistenzsysteme und Digitalisierung der Evangelischen Heimstiftung sind Technik und Digitalisierung ein wichtiger Hebel, um den immer größer werdenden Anforderungen zu begegnen.

Wenn wir von Digitalisierung im Pflegebereich sprechen, geht es konkret um die Fragestellung, wie wir Menschen und Technik zusammenbringen. Die Digitalisierung soll Prozesse in den Einrichtungen optimieren, die Mitarbeitenden vor Ort entlasten und damit die Qualität der Pflege erhöhen.

„Das Mindset einzelner Personen spielt hierbei eine große Rolle und wird insbesondere von den Führungskräften mit in die Einrichtungen getragen.“

Pia kleine Stüve –

Referatsleiterin Assistenzsysteme und Digitalisierung, Evangelische Heimstiftung

Soziale und digitale Innovationen werden auch in der Pflege und Betreuung eine immer größere Rolle spielen. Mit dem Navel-Projekt will die Evangelische Heimstiftung herausfinden, was soziale Robotik und KI bereits können und wo es Nachholbedarf gibt.

Bündelung von Kräften

Wie kann innovative Technologie Pflegekräfte sinnvoll unterstützen? Einen Schlüssel zur Verbesserung der Versorgung sieht Joachim Fröhlich, Mitglied des Vorstands der Evangelischen Bank, in wegweisenden Technologien im Gesundheitswesen und in der Pflege. Dies ist auch eines der Kernthemen von DUCAH (Digital Urban Center for Aging and Health). Die Evangelische Bank ist Gründungsmitglied des Forschungscenters, das sich für die Digitalisierung in der Pflege und in der Sozial- und Gesundheitswirtschaft einsetzt.

„Mit DUCAH als Genossenschaft entsteht ein zeitgemäßes Modell der Verknüpfung und Bündelung von Interessen und Kräften. So legt die Evangelische Bank eine nachhaltige Basis für Beteiligung und Finanzierung.“

Joachim Fröhlich –

Mitglied des Vorstands der Evangelischen Bank und Vorsitzender des Aufsichtsrats von DUCAH 

Die ethische Frage

Die Praxis zeigt: Digitale Innovationen wie Telemedizin, Assistenzsysteme und KI verändern die Medizin und Pflege und eröffnen neue Chancen. Die Nutzung von Technologie in der Pflege wirft aber auch ethische Fragen auf: Ist es vertretbar, dass Pflegebedürftige von Robotern versorgt werden beziehungsweise die Arbeit der Fachkräfte von Robotern unterstützt wird? Wie groß darf ein automatischer oder durch künstliche Intelligenz gestützter Teil der Pflege maximal sein? Diese Aspekte sollten zwingend beachtet und verantwortungsbewusst diskutiert werden. Und doch: Menschen werden weiter die entscheidenden Berater:innen der Patient:innen sein und ihnen Zuwendung und Sicherheit geben.

Einflussfaktor Umwelt

Eine weitere globale Einflussgröße auf die Entwicklungen in der Sozial- und Gesundheitswirtschaft ist der fortschreitende Klimawandel. Er wirkt sich längst nicht mehr nur auf ökologische Systeme aus, sondern auch auf den Menschen: Die Bewohner:innen in Pflegeeinrichtungen und die Patient:innen in Krankenhäusern, aber auch alle, die sie betreuen, sind zum Beispiel durch extreme Wetterereignisse oder Hitzeperioden enormen Belastungen ausgesetzt. Gleichzeitig sind die Einrichtungen des Gesundheitswesens bedeutende Emittenten von Treibhausgasen und befeuern damit den Klimawandel.

Der Strom- und Wärmebedarf der etwa 100.000 Sozialimmobilien in Deutschland verursacht derzeit bis zu 14 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr.

Die Klimakrise trifft auf ein angespanntes Gesundheitssystem in Deutschland, geprägt von fehlenden Mitteln und der Unsicherheit, ob sich Investitionen in Veränderungen lohnen. Technologieentwicklungen können entlasten, sie erfordern aber hohe Investitionen und Veränderungsprozesse unter Beteiligung aller Mitarbeitenden. Für Dr. Matthias Albrecht, Geschäftsführer der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit, spielen die Mitarbeitenden im Gesundheitswesen ohnehin eine sehr wichtige Rolle auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit.

„Mitarbeitende sind Agent:innen der Transformation auf der Suche nach Möglichkeiten zur Umsetzung von Veränderungen, als Klimamanager:innen und Resilienzmanager:innen.“

Dr. Matthias Albrecht –

Geschäftsführer der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit

Klimaneutrale Verwaltung

Wie man den Betrieb einer Verwaltung CO2-neutral gestalten kann, beweist der Luth. Kirchenkreis Plön-Segeberg sehr eindrucksvoll mit dem Neubau seines Verwaltungsgebäudes – ein Vorbild in der Verbindung aus moderner Arbeitswelt und verantwortungsbewusstem Handeln für das Klima. Das gute Klima darf dabei laut der Assistenz der Verwaltungsleitung Viola Stüben gerne doppeldeutig verstanden werden:

„Es ist cool, an dem Wandel von Old School zu New Work aktiv beteiligt gewesen zu sein.“

Viola Stüben –

Assistenz der Verwaltungsleitung

Ein Projekt wie dieses bietet Mehrwerte für Besucher:innen sowie Mitarbeiter:innen. Es sorgt für mehr Zusammenhalt und Motivation. Und es ist ein Beleg dafür, wie alle an der Transformation mitwirken können. Denn das ist eine Aufgabe, die man nur gemeinsam bewältigen kann.

Resümee

Raum für Technologie

Auch wenn künstliche Intelligenz und Hightech dort einziehen, bleiben Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen immer auch soziale Räume, in denen Menschen im Mittelpunkt stehen und Pflegekräfte, Ärzt:innen und Patient:innen miteinander interagieren und Werte mit Leben füllen. Um alle Vorteile der neuen Technologien erkennen und nutzen zu können, muss der Umgang damit umfassend geschult werden. So entstehen auch neue attraktive Berufsbilder und Rollenmodelle – die der Transformation den Weg ebnen und völlig neue Chancen eröffnen.