Nachhaltigkeit und damit nachhaltiges Wirtschaften gewinnt seit einigen Jahren stetig an Bedeutung. Zugleich steigt das öffentliche Interesse an den Auswirkungen unternehmerischen Handelns. Dies manifestiert sich in nationalen und europäischen Rechtsvorschriften. Durch regulatorische Vorgaben steigt nun auch der zeitliche Druck.
Dabei ist es unerlässlich, ökologische, ökonomische und soziale Faktoren gleichrangig zu berücksichtigen. Eine Fokussierung auf ausschließlich ökologische Aspekte greift zu kurz. Wir sind davon überzeugt, dass für eine verantwortungsbewusste Wirtschaft und eine nachhaltig lebenswerte Gesellschaft menschenwürdige Arbeitsbedingungen, die Förderung von Gesundheit und Wohlergehen, die aktive Einbindung benachteiligter Gruppen in die Gemeinschaft sowie andere soziale Aspekte gleichermaßen bedeutend sind.
Angesichts hoher Energiepreise, eines Rückgangs im Handel, Wachstumseinbußen und geopolitischer Verwerfungen könnte die Frage aufkommen, ob die nachhaltige Transformation unter diesen Bedingungen eine Pause einlegen sollte. Diesen Überlegungen erteilt Prof. Dr. Clemens Fuest, Präsident des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung, eine klare Absage: „Wir wissen, dass wir uns eine Pause nicht gönnen und auch nicht leisten können.“ Fuest plädiert allerdings für eine ausgewogenere Berücksichtigung der nachhaltigen Ziele in den Bereichen Ökonomie, Ökologie und Soziales. Die EU-Taxonomie-Verordnung, obwohl gut gemeint, entspreche nicht der Komplexität wirtschaftlicher Zusammenhänge. Es bedürfe mehr Kreativität und insbesondere Weitsicht. Ein stabiles wirtschaftliches Fundament sei essenziell, um die nachhaltige Transformation erfolgreich umzusetzen.
„Deutschland hat das Potenzial, sich als führender Anbieter klimafreundlicher Technologien zu positionieren. Dies kann zu neuen Arbeitsplätzen, Investitionen und einer Stärkung der heimischen Industrie führen.“
Für die Sozial- und Gesundheitswirtschaft stellen die neuen Nachhaltigkeitsanforderungen eine besondere Herausforderung dar, und zwar nicht nur hinsichtlich des operativen Umsetzungsaufwands. Besonders deutlich wird dies zurzeit im Krankenhaussektor. Zum einen müssen nach den neuen CSRD-Berichtspflichten künftig auch (große) Krankenhäuser verstärkt über ESG-Kriterien berichten. Dies erhöht den Druck auf die Häuser, ihre Nachhaltigkeitsperformance zu verbessern. Doch das ist nicht so leicht: Sie sind Energie-Hochverbraucher und lassen sich nicht von heute auf morgen auf „grün“ schalten. Zum anderen hat die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) im Sommer 2023 die Mindestanforderungen an das Risikomanagement von Banken (MaRisk) um sogenannte Nachhaltigkeitseinflussfaktoren erhöht. Dies führt dazu, dass Banken bei der Kreditvergabe auch an Krankenhäuser verstärkt auf die Einhaltung von ESG-Standards achten müssen.
Thomas Katzenmayer, Vorsitzender des Vorstands der Evangelischen Bank, äußert gemeinsam mit seinen beiden Vorstandskollegen Joachim Fröhlich und Olaf Kreuzberg in einem offenen Brief an den Bundesgesundheitsminister und an die Gesundheitsminister:innen der Länder die Befürchtung, dass sich die derzeit äußerst angespannte finanzielle Situation im Krankenhaussektor aufgrund dieser Gemengelage noch einmal dramatisch verschärfen könnte. „Die zentrale Sorge, die sich aus diesen Zusammenhängen ergibt, ist die erhebliche Verteuerung oder sogar potenzielle Ablehnung von Krediten für Krankenhäuser, wenn sie die geforderten Nachhaltigkeitsfaktoren nicht erfüllen“, schrieben die EB-Vorstände an die Minister:innen.
Was waren die Beweggründe für einen offenen Brief der Evangelischen Bank an den Bundesgesundheitsminister und worum geht es darin? Florian Albert, Chefredakteur im Bibliomed-Verlag, fragt nach. Thomas Katzenmayer, Vorsitzender des Vorstands der Evangelischen Bank, gibt im f&w Klinik-Podcast Auskunft.
„Unsere Initiative, in den Dialog mit der Politik zu treten, war uns wichtig, um auf die prekäre Lage unserer Kund:innen hinzuweisen. Damit der EU Green Deal nicht zur Kostenfalle wird, muss die Gesundheits- und Sozialwirtschaft auf dem Transformationspfad mehr öffentliche Unterstützung erfahren.“
Ein nachhaltiges Gesundheitssystem, das auch ökonomisch tragfähig ist, bedarf neuer Strukturen und Finanzierungsmodelle. Ein Gesundheitssystem der Zukunft stellt sich Dr. Markus Horneber, Vorsitzender des Vorstands von AGAPLESION, so vor, dass die Trägerpluralität gewahrt bleibt und alle Patient:innen die Gesundheitsversorgung bekommen, die tatsächlich notwendig ist. Dies schließe nicht aus, dass der Krankenhausmarkt bereinigt werden muss und dabei auch Standorte geschlossen werden. Die geplante Krankenhausreform lehnt Horneber in weiten Teilen allerdings ab, da sie den Wettbewerb abschaffe. „Das geht zulasten der Qualität. Rationierungen und längere Wartezeiten sind weitere Folgen“, sagt er.
„Ich bin der Überzeugung, dass die Qualität der Versorgung nicht zunehmen, sondern abnehmen wird, weil die Patient:innen künftig weniger Wahlmöglichkeiten haben.“
Prof. Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), greift den ökonomischen Aspekt der Diskussion auf, indem er betont, dass eine effiziente Klimaschutzpolitik zugleich eine solide Grundlage für eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik darstellt. Er prognostiziert, dass der wirtschaftliche Erfolg in der Zukunft noch enger daran geknüpft sein wird, inwieweit Unternehmen ihre Strategien auf Nachhaltigkeit ausrichten. Unternehmen, die es versäumen, ihre Geschäftsmodelle nachhaltig zu gestalten, riskieren Misserfolg. Im Gegenzug wird sich ein nachhaltiger Wirtschaftsansatz als entscheidender Wettbewerbsvorteil herauskristallisieren.
„Meine Sorge ist, dass wir bei der aktuellen Wirtschafts- und Klimaschutzpolitik zu viele Menschen zurücklassen.“
Die großen Herausforderungen unserer Zeit stellt Prof. Marcel Fratzscher auch in den größeren sozialen Kontext. Nach seiner Auffassung müssen wir in Deutschland und Europa insgesamt mehr Verantwortung für die Menschen in den ärmsten Ländern der Welt übernehmen. Denn es seien oft die sozial Schwächsten, die unter negativen Umweltfolgen, wie beispielsweise dem Klimawandel, leiden. Klimaschutz funktioniere nur im Einklang mit sozialer Gerechtigkeit.
Ähnlich der Umwelttaxonomie-Verordnung gibt es Überlegungen, mit einer Sozialtaxonomie mehr Transparenz bei sozialen Aspekten der Nachhaltigkeit zu schaffen, wie zum Beispiel der Achtung der Menschenrechte und der Verbesserung von Lebens- und Arbeitsbedingungen. Ziel ist es, einen verbindlichen Leitfaden für sozial nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten zu entwickeln. Investor:innen soll es hierdurch erleichtert werden, ihre Kapitalströme nicht nur in ökologisch, sondern auch in sozial nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten zu lenken. Derzeit wird die Entwicklung der Sozialtaxonomie von der Europäischen Kommission allerdings nicht vorangetrieben. Immerhin hat die EU mit den Social Standards der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) einen wichtigen Pflock im Zusammenhang mit der Berichtspflicht eingeschlagen (dazu zählen: eigene Belegschaft, Arbeitskräfte in der Wertschöpfungskette, betroffene Gemeinschaften, Verbraucher:innen und Endnutzer:innen). Die Evangelische Bank hält die Berücksichtigung der sozialen Aspekte für alternativlos und unterstützt deshalb die Schaffung eines Social Investment Framework, das ersatzweise vorgeschlagen wurde.
Die nachhaltige Transformation von Geschäftsmodellen und die Fokussierung auf ESG-Faktoren (Environmental, Social, Governance) steigern langfristig die Wettbewerbsfähigkeit und legen somit das Fundament für eine nachhaltig lebenswerte Gesellschaft. Die Gesundheits- und Sozialwirtschaft ist bereit, ihren Teil zur Erreichung der Klimaziele beizutragen. Sie verfügt über einen starken Hebel, aber nicht nur unter ökologischen, sondern auch sozialen und ökonomischen Gesichtspunkten. Hierfür müssen, gesamtwirtschaftlich gesehen, die Lasten gerechter verteilt und verlässliche Finanzierungsquellen sichergestellt werden.